Psychisch fit durch die Schicht – was Ihre mentale Gesundheit in der Produktion stärkt

Psychische Erkrankungen nehmen Jahr für Jahr zu: Depressionen, Angstzustände und psychosomatische Beschwerden steigen unter den deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Insbesondere die Schichtarbeit hat einen Einfluss auf das Wohlbefinden – denn sie wirkt sich auf den Biorhythmus aus. Doch genug von psychischen Erkrankungen: Wie kann denn überhaupt die psychische Gesundheit gestärkt werden, damit Sie fit durch die Schicht kommen? Was muss organisational getan werden? Wie schaut sieht betriebliche Gesundheitsförderung aus? Das schauen wir uns in diesem Beitrag an.

Schichtarbeit in der Produktion wirkt sich auf den Biorhythmus aus, wodurch Schlafmangel und Stresssymptomatiken begünstigt werden. Durch Schichtarbeit können Herz-Kreislauf- sowie Verdauungsbeschwerden auftreten. Auch Muskel-Skelett-Erkrankungen können begünstigt werden. Hinzu kommen teils eher monotone Aufgaben, hohe Konzentrationsanforderungen, schnelles Arbeiten oder Multitasking, die psychisch belastend sind (Beermann & Kretschmer, 2015). 

 

Verhältnisorientierte Gesundheitsförderung in Produktionsunternehmen mit Schichtarbeit 

Um also gesund und mental fit durch die Schicht zu kommen, müssen laut Arlinghaus und Lott (2018) zunächst einmal 3 organisationale Faktoren stimmen: Die Abfolge der Schichten, die Arbeitsorganisation und die Zeitsouveränität. On top ist Zeitausgleich statt eines finanziellen Ausgleichs gesundheitsförderlich. Im folgenden Abschnitt werden die Hinweise von Arlinghaus und Lott (2018) zu den verschiedenen Ebenen zusammengefasst dargestellt: 

Die Ebene der Schichtabfolge 

  • Vorwärts rotierende Schichtabfolgen (Früh - Spät - Nacht) sind tendenziell weniger belastend als rückwärts rotierende Schichtabfolgen (Nacht - Spät - Früh). 

  • Zusätzlich sind kurz rotierende Schichtpläne mit Schichtwechseln nach z.B. 2 Schichten zumeist angenehmer, da längere Ruhezeiten zwischen den Wechseln entstehen. 

  • In langsam rotierenden Schichtplänen mit z.B. wöchentlichen Wechseln der Schichten fallen vermehrt freie Nachmittage/Abende in der Woche oder am Wochenende weg. 

Wir vom Projekt ShiftLifeBalance empfehlen:  Die Überarbeitung der Schichtabfolge sollte in Absprache mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern stattfinden. Häufig werden vorwärts rotierende Schichtsysteme abgelehnt, wenn Menschen beispielsweise am Samstagmorgen mit der Nachtschicht enden und Montagmorgen mit der Frühschicht starten. Hier müssen die Start- und Endzeiten der einzelnen Schichten überarbeitet werden. 

Die Ebene der Arbeitsorganisation

1. Für Unternehmen lohnt es sich, den Belastungsgrad von Aufgaben zu analysieren.

  • Gibt es Aufgaben, für die weniger Konzentration erforderlich ist, die leicht von der Hand gehen? Beispielsweise könnten dies einfache Dokumentationstätigkeiten sein. Diese könnten in die Nachtschicht gelegt werden.

  • Gibt es Aufgaben, die stärker belastend sind und mehr Konzentration benötigen? Hier bietet es sich an, sie in die Früh- und Spätschicht zu legen. Mögliche Aufgaben sind Wartung, Dokumentation, Recherche oder die Tätigkeit in Arbeitsgruppen. 

2. Weiterhin ist für Unternehmen der Blick auf Automatisierung und Digitalisierung sinnvoll. 

  •  Automatisierte Abläufe schaffen Entlastung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in stark belastenden Schichten, wie der Nachtschicht. 

  • Wenn Maschinen und automatisierte Abläufe gewartet werden müssen, sollte dies während der Früh- und Spätschicht und bestenfalls nicht in der Nachtschicht stattfinden. 

 

Die Ebene der Zeitsouveränität 

Viele Beschäftigte in der Schichtarbeit schätzen Verlässlichkeit und Planbarkeit bei ihren Arbeitszeiten – gleichzeitig wünschen sie sich auch, dass sie Wünsche bei der Schichtverteilung angeben können, um Arbeitszeit und Privatleben besser vereinen zu können. Was kann getan werden, um generell Freiheitsgrade und Wünsche im starren Schichtsystem zu gewährleisten? 

1. Angebot verschiedener Arbeitszeitmodelle 

  • Verschiedene Schichtsysteme stärken die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Privatleben und schaffen gesundheitsförderliche Strukturen. 

  • Beispielsweise können Pläne für Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen entwickelt werden, in denen keine Nachtschicht vorgesehen ist. 

  • Auch die Wahl zwischen verschiedenen, angebotenen Schichtplänen ist gesundheitsförderlich: Die so entstehenden Freiheiten bei der Auswahl stärken die psychische Gesundheit und verhindern schwelende Konflikte zwischen den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Was geht? 

  • Kombination verschiedener Wochenarbeitszeiten 

  • Verschiedene Nacht- und Wochenendanteile in den Schichtplänen 

  • Kombination unterschiedlicher Teilzeitpläne mit z.B. 35-, 25- und 20 Stunden  

 

2. Gleitzeitangebot 

  • Gleitzeit scheint zunächst ein Arbeitszeitmodell zu sein, welches konträr zu einem festen Schichtsystem steht. Jedoch gibt es einen gewissen Spielraum, sofern die Arbeitnehmer:innen nicht an einem “typischen Fließband” arbeiten müssen. 

  • Es sollte geprüft werden, ob bei der Bedienung gewisser Maschinen immer die gleiche zeitliche und personelle Kapazität benötigt wird oder ob sich hier auch gewisse Freiheitsgrade ergeben könnten. 

  • Dies kann man herausfinden, in dem die tatsächliche Besetzung in der Woche analysiert wird. Bei schwankenden Besetzungen, die nicht durch z.B. Kund:innenanforderungen entstehen, besteht ein Hinweis auf mögliche Variabilität und Gleitzeitpotenzial. 

 

Zeitausgleich statt finanziellem Ausgleich 

Auch wenn nicht wegargumentiert werden kann, dass Menschen mit finanziellen Zeitzuschlägen für Nacht- und Wochenendarbeit rechnen, so gleichen diese Zuschläge die gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht aus. Finanzielle Anreize führen zudem häufig auch zu einem gewissen Druck, vermehrt z.B. Nachtschichten anzunehmen. 

Arlinghaus und Lott (2018) zeigen auf, dass ein Zeitausgleich für besonders belastende Schichten die psychische, physische und soziale Gesundheit fördern kann: Freizeitaktivitäten sind wieder leichter möglich, Stress wird verringert und Schlaf verbessert. 

Das Gutschreiben von ehemals finanziellen Zuschlägen auf dem Stundenkonto oder die Einführung kürzerer Wochenarbeitszeiten verringert insgesamt die Belastungszeiten. “[Es] würde also Teilzeit bei einer Entlohnung für Vollzeitarbeit stattfinden.” (Arlinghaus und Lott, 2018, S. 16) 

Auch hier empfehlen wir, dass Sie sich mit Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern über die verschiedenen Möglichkeiten austauschen, um Befürchtungen entgegenzuwirken und Veränderungen im Sinne der Belegschaft angehen. 

 

Verhaltensorientierte Gesundheitsförderung in Produktionsunternehmen mit Schichtarbeit 

Neben der gesundheitsstärkenden organisationalen Gestaltung (siehe oben), sollten die Mitarbeitenden hinsichtlich gesundheitsförderlichem Verhalten sensibilisiert und gestärkt werden. Dazu zählen laut Beermann und Kretschmer (2015): 

  • Informationen zu guter Schlafhygiene und -umgebung 

  • Informationen zu gesunder Ernährung, z.B. während der Nachtschicht 

  • Information zur Auswirkung von Koffein auf die Schlafqualität 

  • Bestärkung zu medizinischen Vorsorgeuntersuchungen, Sport und Entspannungsmaßnahmen 

 

Psychische Gesundheit in der Schichtarbeit in der Produktion – ja, das geht. Es sollten nur verschiedene Faktoren auf Verhältnis- und Verhaltensebene betrachtet werden und die Mitarbeitenden in Entscheidungsprozesse einbezogen werden. 

 

Quellen: 

Arlinghaus, A., & Lott, Y. (2018). Schichtarbeit gesund und sozialverträglich gestalten, Forschungsförderung Report, No. 3, Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf 

Beermann, B., Kretschmer, V. (2015). Schichtarbeit und Betriebliche Gesundheitsförderung. In: Badura, B., Ducki, A., Schröder, H., Klose, J., Meyer, M. (eds) Fehlzeiten-Report 2015. Fehlzeiten-Report, vol 2015. Springer, Berlin, Heidelberg. doi.org/10.1007/978-3-662-47264-4_18